Warum wir über Gewicht sprechen müssen

Starkes Übergewicht ist keine Frage von mangelnder Disziplin, sondern eine chronische Erkrankung, die Millionen Menschen betrifft. Trotzdem wird Übergewicht oft als persönliches Versagen abgetan. Das ist nicht nur falsch, sondern gefährlich. Denn mit Schuldzuweisungen lässt sich die Adipositas-Epidemie nicht eindämmen. Wir müssen aufklären. Nicht verurteilen.

Die Apotheken Umschau widmet dem Thema Adipositas eine ganze Ausgabe, weil es höchste Zeit ist, umzudenken. Jede:r Fünfte in Deutschland ist betroffen – mit dramatischen Folgen für Gesundheit und Gesellschaft.

Apotheken spielen bei diesem gesamtgesellschaftlichen Umdenken eine zentrale, vielleicht sogar die entscheidende Rolle: Sie beraten, klären auf, begleiten. Sie sind Orte, an denen Verständnis beginnt und echte Versorgung möglich wird.

13 Mio. Menschen

in Deutschland sind adipös

63 Mrd. Euro

betragen die gesamtgesellschaftlichen Kosten von Adipositas in Deutschland – jedes Jahr.

20 %

der Menschen mit Adipositas fühlen sich sozial isoliert – doppelt so viele wie in der Allgemeinbevölkerung.

Was steckt wirklich hinter Adipositas?

Alles über Gewicht

Adipositas ist eine chronische, multifaktorielle Erkrankung. Sie entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel aus genetischen, biologischen, psychologischen und gesellschaftlichen Faktoren – nicht durch mangelnde Disziplin oder „falsches Verhalten“.

Alles über Gewicht - Fakten

Anzahl der Betroffenen in Deutschland

Rund 13 Millionen Menschen in Deutschland sind von starkem Übergewicht betroffen. Adipositas erhöht laut WHO das Risiko für zahlreiche Folgeerkrankungen – darunter Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes und psychische Erkrankungen.

Kosten für das Gesundheitssystem

Adipositas verursacht in Deutschland jährlich rund 63 Milliarden Euro an gesamtgesellschaftlichen Kosten. Diese entstehen durch direkte Behandlungskosten sowie indirekt durch Produktivitätsverluste, Arbeitsunfähigkeit und Frührente.

Fehlende Aufklärung – mangelnde Gesundheitskompetenz

Rund 50 % der Deutschen verfügen über eine geringe Ernährungskompetenz. Vielen fehlt das Wissen und die Fähigkeit, gesunde Ernährung im Alltag umzusetzen.

Alles über Gewicht - Fakten Reihe 2

Zusammenhang zwischen Adipositas und psychischer Gesundheit

Adipositas geht häufig mit sozialer Isolation und psychischen Belastungen einher. Laut LIFE-Adult-Studie sind 20 % der Menschen mit Adipositas sozial isoliert – fast doppelt so viele wie in der Vergleichsgruppe (11 %).

Adipositas bei Kindern und Jugendlichen

In Europa ist fast jedes dritte Kind zwischen 7 und 9 Jahren übergewichtig. Die Weichen für Adipositas werden früh gestellt – beeinflusst durch Ernährung, Werbung und fehlende gesunde Angebote wie ausgewogenes Schulessen.

Folgen und Risiken einer Adipositas-Erkrankung

Adipositas erhöht das Risiko für zahlreiche Erkrankungen – darunter Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Leberzirrhose, Lungenerkrankungen und psychische Störungen. Auch die Lebenserwartung kann deutlich sinken.

Mythos vs. Wissenschaft

Mythos

Wissenschaft sagt

„Wer dick ist, hat einfach zu viel gegessen.“

Genetik, Stoffwechsel und Umwelt spielen eine zentrale Rolle.

„Fett macht fett.“

Studien zeigen: Fettarme Diäten sind oft weniger erfolgreich als ausgewogene Ernährung.

„Abnehmen geht mit Willenskraft.“

Adipositas ist eine chronische Erkrankung – Therapie braucht mehr als Motivation.

„Kinder wachsen da schon raus.“

Fast jedes dritte Kind zwischen 7 und 9 Jahren ist übergewichtig – frühe Prävention ist entscheidend.

„Wer dick ist, ist selbst schuld.“

Schuldzuweisungen verhindern Hilfe – Adipositas braucht medizinische und gesellschaftliche Lösungen.

HILFE & UNTERSTÜTZUNG IN APOTHEKEN

Beratung, die wirkt

Gewicht ist sichtbar, Ursachen und Belastungen sind es oft nicht. Viele Menschen mit Adipositas kämpfen mit sozialer Isolation, Depression und dem Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Gerade für sie kann die Apotheke ein Ort sein, an dem Verständnis beginnt. Durch Wissen, Sprache und Haltung.

  • Adipositas ist medizinisch als Krankheit anerkannt – nicht als Lebensstilproblem.
  • Die Ursachen sind vielfältig: Gene, Hormone, Umwelt, Ernährung, Bewegung, Stress.
  • Die Behandlung erfordert oft eine Kombination aus Lebensstiländerung, medikamentöser Therapie und psychologischer Unterstützung.
  • Stigmatisierung wirkt sich negativ auf die Gesundheit und die Therapiebereitschaft aus.
Aufklärung
Fehlende Ernährungs-kompetenz

Rund die Hälfte der Deutschen hat eine geringe Ernährungskompetenz. Das bedeutet: Diesen Menschen fehlen Kenntnisse und Fähigkeiten, um gesunde Ernährung in den Alltag zu integrieren.

Unterstützung bei Adipositas: Was Apotheken leisten können

Medikamente verständlich erklärt

Apotheken beraten zu verschreibungspflichtigen Mitteln zur Gewichtsreduktion, etwa Semaglutid („Abnehmspritze“) oder Orlistat. Sie erklären, wie die Wirkstoffe funktionieren, welche Nebenwirkungen auftreten können und wie die Anwendung richtig erfolgt. Auch beim Verständnis ärztlicher Therapiepläne helfen sie weiter.

Ernährung alltagstauglich machen

Einige Apotheken bieten qualifizierte Ernährungsberatung an oder arbeiten mit externen Fachkräften zusammen. Viele geben einfache Tipps zur ausgewogenen Ernährung, zum Beispiel wie man Zucker reduziert oder gesunde Lebensmittel besser auswählt.

Hilfsmittel richtig nutzen

Blutdruckmessgeräte, Körperfettwaagen oder Dosierhilfen: Apotheken zeigen, wie man solche Geräte sinnvoll einsetzt. Außerdem bieten sie pharmazeutische Dienstleistungen wie Blutdruckkontrollen oder Medikationsanalysen an, besonders hilfreich bei mehreren gleichzeitig eingenommenen Medikamenten.

Gesund leben im Alltag

Apotheken können zu kleinen Veränderungen motivieren: mehr Bewegung, besserer Schlaf, weniger Stress. Sie geben praktische Hinweise für den Alltag.

Gut vernetzt – für bessere Betreuung

Manche Apotheken arbeiten eng mit Hausärzt:innen, Ernährungsberater:innen oder Psychotherapeut:innen zusammen. So lässt sich die Behandlung besser auf individuelle Bedürfnisse abstimmen.

Hinweise auf Selbsthilfegruppen

Viele Apotheken kennen lokale oder digitale Angebote für den Austausch mit anderen Betroffenen. Sie zeigen, wo man Gruppen oder Communitys findet, die Rückhalt und Motivation bieten.

Durchblick bei Kassenleistungen

Welche Kosten übernimmt die Krankenkasse? Apotheken helfen, sich im System zu orientieren, zum Beispiel bei Angeboten zur Ernährungsberatung oder Bewegungstherapie. Verbindliche Auskünfte geben dann die Kassen selbst.

TIPPS UND KONTAKTE ZU BERATUNGSSTELLEN

Wo Menschen mit Adipositas Hilfe finden

In Deutschland gibt es viele Stellen, die Menschen mit Adipositas begleiten – medizinisch, psychologisch und im Alltag. Dazu gehören spezialisierte Kliniken, Adipositaszentren, Selbsthilfegruppen und Ernährungsberatungen. Einige Angebote richten sich gezielt an bestimmte Altersgruppen oder konzentrieren sich auf einzelne Aspekte der Behandlung – etwa Ernährung, Bewegung oder seelische Belastungen. Wer Hilfe sucht, findet hier einen ersten Überblick.

Was zahlt die Krankenkasse?

Ob Ernährungsberatung, Bewegungstherapie oder Verhaltenstraining: Was übernommen wird, hängt vom individuellen Fall und der Kasse ab. Es lohnt sich, direkt bei der Krankenkasse oder Beratungsstelle nachzufragen.

Ob Diagnose, Beratung oder Therapie – hier gibt’s Unterstützung vor Ort und online:

Adipositaszentren an Kliniken

Viele Krankenhäuser haben spezialisierte Zentren für Adipositas. Dort erhalten Betroffene umfassende Hilfe: medizinische Diagnostik, Ernährungstherapie, Verhaltenstraining, chirurgische Eingriffe wie Magenverkleinerung plus Nachsorge.

Spezialisierte Kliniken

Einige Kliniken konzentrieren sich ganz auf Adipositas: mit interdisziplinären Teams aus Ärzt:innen, Therapeut:innen, Ernährungsberater:innen und Bewegungsexpert:innen.

Adipositas-Sprechstunden

Viele Krankenhäuser bieten spezielle Sprechstunden an, etwa zur Erstberatung, Therapieplanung oder OP-Vorbereitung.

Selbsthilfegruppen & Verbände

Der Austausch mit anderen Betroffenen hilft: Selbsthilfegruppen bieten Verständnis, Motivation und wertvolle Tipps aus dem Alltag.

Qualifizierte Ernährungsberatung

Viele Kliniken und Praxen bieten professionelle Ernährungsberatung, oft mit Kassenzuschuss. Voraussetzung ist meist eine ärztliche Bescheinigung. Auch spezialisierte Berater:innen helfen bei der langfristigen Umstellung auf gesunde Essgewohnheiten

Weitere Anlaufstellen

  • Hausärzt:innen: erste Anlaufstelle für Diagnose, Therapieeinleitung oder Überweisung
  • Psychotherapeut:innen: wichtig bei seelischen Belastungen, Essstörungen oder Adipositas-bedingter Depression
  • Gesundheitsämter: bieten teils kostenlose Beratungen oder Präventionsangebote (regional unterschiedlich)

Wichtiger Hinweis

Bei Fragen zu konkreten, regionalen Beratungsangeboten oder zur Kostenübernahme durch die Krankenkasse empfiehlt es sich, direkt mit der jeweiligen Beratungsstelle oder Krankenkasse Kontakt aufzunehmen.

Adipositas ist kein individuelles Versagen, sondern ein kollektives, gesellschaftliches Problem.